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geschrieben am: 29.01.2003 um 17:01 Uhr
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[i]Und während es später Punk-adäquat heißt, zuviel zu üben sei „sowas wie zuviel Zucker“, wurde im Furor der Anfangstage schon mal ein wenig enthusiastischer Drummer (Dave Foster nämlich) vor die Tür gesetzt, denn: „Eine Band muss proben, nach unserer Ansicht mindestens fünfmal pro Woche, wenn sie etwas erreichen will.“ Generalstabsmäßig lässt sich der Aufstieg einer Band in den Pop-Olymp kaum planen. Allerdings, und das übergeht Biograph Cross, waren sogar solche Direktiven selten frei von Ironie und Witz, wie folgende Prophezeiung belegt:
„NIRVANA. 3-malige Granny-Gewinner. Für36 aufeinanderfolgende Wochen (weaks!) die Nr. 1 der Billbored-Charts. 2-mal auf dem Titel von Bowling Stoned. Vom Thyme und Newsweak als originellste, intellektuell anregendste, wichtigste Band unseres Jahrzehnts gefeiert.“ (S. 63)
Als es dann real soweit war, half freilich auch plakativ zur Schau gestellter Sarkasmus wenig:
„(...) ich habe so viele lächerliche Freud-für-Arme-Einschätzungen meiner Persönlichkeit anhand unserer Interviews gelesen, und dass ich ein notorisch fertiger Heroinsüchtiger und Alkoholiker bin, ein selbstzerstörerischer, dabei jedoch übersensibler (...), narkoleptischer, neurotischer kleiner Wichtigtuer, der sich irgendwann eine Überdosis verpassen, vom Dach springen und überschnappen und den Kopf wegschießen wird, oder alles drei zusammen, weil ICH MIT DEM ERFOLG NICHT KLARKOMME! OH, DER ERFOLG! DIE SCHULDGEFÜHLE!(...) OH, ICH FÜHLE MICH JA SO SCHRECKLICH SCHULDIG! SCHULDIG, weil ich unsere wahren Weggenossen im Stich gelassen habe. Die Getreuen.(...) Die, die in zehn Jahren (wenn wir im Bewusstsein der Öffentlichkeit ungefähr so präsent wie Kajagoogoo sein dürften) immer noch in Freizeitparks pilgern werden, wo NIRVANA-Reunion-Gigs stattfinden, gesponsert von Inkontinenzwindeln, kahl, fett und immer noch krampfhaft am Rocken, samstags Puppentheater, Achterbahn & NIRVANA.“
Die anrührende Tragik entsteht bei alledem primär durch das Prozesshafte der Notizen. Ab 1992 versank Cobain mehr und mehr in der Heroin-Abhängigkeit, die sich scheinbar proportional zur Heftigkeit seines bis zuletzt undiagnostizierbaren (womöglich psychosomatischen) Magenleidens steigerte, welches ihn „buchstäblich an den Rand des Selbstmords“ trieb.
Parallel dazu werden die Texte wirrer. Ein besonders verstörender Hilferuf findet sich auf S. 205 f.:
„Es ist wie russisches Roulette, ich kann nie voraussehen, wann es auftreten wird, ich kann in relaxtester Atmosphäre zu Hause sitzen (...) kein Stress, keine Hektik, und dann, peng! wie ein Bauchschuss: Der Magen rebelliert wieder. (...) Oh bitte lieber Gott! Zum Teufel mit Hit-Alben, ich bitte dich nur um eins, meine eigene (...) nach mir benannte Magenkrankheit. Unser nächstes Konzept-Doppel-Album könnten wir „Cobains Disease“ nennen. Eine Rock-Oper ausschließlich über Galle kotzen und wie es ist, ein magersüchtiger Borderline-Auschwitz-Grunge-Boy zu sein. Und als Begleitprodukt zu diesem Epos ein Endoskop-Home-Video.“
Scheinbar war Heroin tatsächlich das einzige Schmerzmittel, das bei Cobai richtig anschlug – was indes nicht bedeutet, dass er der Wirkung deshalb nichts abgewinnen konnte. Wieviel Selbstbetrug in einer Passage wie der folgenden steckt, lässt dich letzten Endes nur mutmaßen:
„Ich war zwar oft wochenlang buchstäblich ans Bett gefesselt, kotzend und hungernd. Da überlegte ich mir, wenn ich mich schon wie ein Junkie fühle, da kann ich auch gleich einer werden.“
Geändert am 29.01.2003 um 17:02 Uhr von Miss_Vienetta |
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