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Ein buchholzsches Volks-Lied

Nutzer: MendeMC
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geschrieben am: 07.08.2009    um 19:50 Uhr   
Ein buchholzsches Volks-Lied

Wie war für's Ost-Volk dazumal
der Sozialismus so real.
Er füllte jedes Transparent
und siechte und siechte permanent,
war überall, zu jeder Stunde
einheitsparteilich im volkseig'nen Munde.
Sozialismus als Maulhurerei -
oral existierend als Parolen-Geschrei.

Und die Idee wurde fahl und schal -
so-zi-alistisch irreal.
So irre real, daß als Realist
man ganz real irre geworden ist.
So gab es Irre in irren Massen,
und die konnte man nicht frei herumlaufen lassen.
Die Irrenwärter sorgten sich sehr.
Schließlich sprach einer: "Ein Schutzwall muß her!"

Also enstand 'ne geschloss'ne Abteilung
für all diese Fälle ohne Aussicht auf Heilung.
Und es ging ins Land manch heilloses Jahr.
Doch plötzlich gab's eine kecke Schar,
die rief den Wärtern glatt ins Gesicht:
"Wir sind DAS Volk! Erkennt ihr uns nicht?"
Und die Wärter staunten: "Ein Volk, das so spricht,
nee, tut uns leid, so was kennen wir nicht."

Nun war das auch nur pure Hochstapelei:
Denn das Volk, das rief, daß es das Volk sei,
war gar nicht DAS Volk. Es war zu der Zeit
nur eine störrische Minderheit.
Um zu stören die friedhofs-reale Ruh'
gehörte noch Mut, nicht nur Hel-Mut dazu.
Das real existente Volk stand nämlich
hinter dem Fenster und glotzte nur dämlich.

So lupfte DAS Volk mit harmloser Miene
im zweiten Stock mal kurz die Gardine.
'ne gesamtdeutsche Sichtweise im germanischen Reich:
Hingucken, weggucken - beides zugleich.
So kann man hinterher glaubhaft gestehen:
Man hat nichts gehört und man hat nichts gesehen!
Man hat nichts gesagt, weil: Man hat nichts gewußt.
Drei Affen, die hocken in deutsch-deutscher Brust.
(Ihr Schimpansen, verzeiht mir! Ich seh' es ja ein:
Dieser Deutschen-Vergleich war schon ziemlich gemein.)

Doch irgendwann war die Sache gelaufen.
Und schwarz-rot-golden strömten die Haufen.
Denn schwer besoffen vom D-markigen Wahne
hatte DAS Volk eine mächtige Fahne.
Und es lallte DAS Volk mit schwindendem Sinn:
"Wir sind EIN Volk." Das zeigt immerhin,
daß sich das Volk schon durchgezählt hatte.
"Wir sind 1 Volk." Da gab's keine Debatte.

Doch gab es 1 Volk auch in westlichen Landen.
Das Volk war also zweifach vorhanden.
Und plötzlich ertönte das wilde Geschrei,
daß das zweifache Volk ein einfaches sei.
Es hat dieses Volk, wer kann es bestreiten,
bei der Addition seine Schwierigkeiten.
In Volkes Namen - hier gesteh ich:
Dies Volk ist unzurechnungsfähig.

Doch das ostdeutsche Volk, es wollte jetzt raus
aus dem sicher ummauerten Irrenhaus.
Und es kam der Tag und das Tor ging auf,
und ins Freie strömten die Irren zuhauf.
Die Irren war'n los. Da war irre was los.
Und die geist'ge Verwirrung ward allerorts groß.
Es gaben sich Ossis und Wessis spontan hin.
Und alles stammelte nur noch "Wahnsinn".
So hat dieses Volk sich vor aller Welt
die sauberste Diagnose gestellt.
Dove non c'e amore e perdono la strada diventa chiusa
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  TopZuletzt geändert am: 07.08.2009 um 19:52 Uhr von MendeMC
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geschrieben am: 07.08.2009    um 19:51 Uhr   
Nachdem sich das Volk den Wahnsinn bescheinigt,
hat es sich wieder und wieder vereinigt.
Fiel brünstig übereinander her
und wollte mehr und immer mehr.
Brüder und Schwestern im wilden Inzest.
Es stöhnte der Ossi: "I test the West!
Mach mir den Wessi! Gib mir den Rest!"
Und der Wessi versprach: "I do my best!"

Wie böse ist man dann erwacht
nach der perversen Einheitsnacht.
Bloß weil man einmal kopuliert
war man nun plötzlich eng liiert.
Das Westvolk und das Ostvolk, ach,
die hatten fortan nur noch Krach.
Das eine Volk zum ander'n spricht:
"Wir sind EIN Volk? Ich faß es nicht!"

Nun steckt man schwer im Stimmungstief.
Und ist germanisch depressiv.
Es liegt im nationalen Gen:
Wir sind und bleiben schizophren.
Denn dieses Spaltungsirresein
ist Grundlage für den Verein.
Das ist der Sinn der deutschen Macke.
Wir sind vereint in der Zwangsjacke.

Das Einz'ge, was in Ost und West
uns Deutsche eint beim Einheitsfest
nach all dem Auf-, dem Ab-, dem -schwung
ist in der Schüssel nur der Sprung,
den man seit Urzeiten schon kennt,
weshalb man ihn den Ur-Sprung nennt.

Und das war die letzte Strophe
über's deutsche Volk, das doofe.


Martin Buchholz
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