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So etwas wie ein "Buch"!?

Nutzer: MadSoul
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geschrieben am: 29.02.2012    um 15:41 Uhr   
Hallo Freunde der guten Unterhaltung!
Tja wie wohl viele von uns hab auch ich damals angefangen ein Buch zu schreiben. Bin heute mal darüber gestolpert und musste an einigen Stellen sehr lachen! Klar ist das keine Unterhaltung auf hohem Niveau, aber Unterhaltung immerhin. Ich hoffe ihr genießt das Lesen. Wer weiß vielleicht bekomme ich ja nochmal Lust oder Anreiz weiter zu schreiben.
Kritik ist natürlich wie immer erwünscht!

Mit besten Grüßen
Mad
"Die Neugier ist die mächtigste Antriebskraft im Universum, weil sie die beiden größten Bremskräfte im Universum überwinden kann: die Vernunft und die Angst."

Die Stadt der Träumenden Bücher, Piper Verlag 2006, S. 325
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geschrieben am: 29.02.2012    um 15:41 Uhr   
Kapitel 1

Ein schöner Tag

„Ein schöner Tag“, dachte ich mir als ich den schmalen Pfad, der mich in die Stadt führen würde entlang schritt und mich die Sonne anlachte. Das bisschen Wärme verdeckte fast schon die bittere und lange Kälte die wir diesen Winter durchlebt hatten. Der Wind wehte leicht und warm die Blütenblätter von den Kirschbäumen die den kleinen Weg einreihten.
Ich fuhr kurz durch mein Haar, dachte ich hätte etwas vergessen. Ich durchforstete im Eiltempo einige Abzweigungen meines Hirnlabyrinths bis ich merkte, dass ich gar nichts mitnehmen wollte und dies auch nicht getan hatte. So setzte ich denn meinen Weg fort, trat in ein Stück Hundekot, ärgerte mich kurz, doch nahm dann ein Taschentuch aus meiner Hemdtasche und entfernte das unerwünschte Zeug von der Sohle meiner neu erworbenen Schuhe, worauf ich es sogleich im nächst besten Gebüsch entsorgte. „Da gehörst du hin“, rief ich noch hinterher, bevor ich fröhlich weiterging. So etwas sollte mir doch nicht den Tag verderben. Den Rest des Weges genoss ich die süßen Sonnenstrahlen.
Es war wirklich ein schöner Tag. Jeder hätte es spätestens jetzt gemerkt. Jeder an dem man vorbei kam sagte: „Schönen Guten Tag mein Herr!“ und jeder mit dem man nur ein Wort wechselte „Ein schöner Tag Herr, finden Sie nicht?“, oder etwas in der Richtung. Und auch wenn man die eine Hälfte dieser Stadt für verrückt erklären hätte sollen und die andere nicht für voll nehmen konnte, so sah man doch an ihren übereinstimmenden Aussagen, dass etwas Wahres an ihnen zu finden war.

Kaum dort in unserer kleinen Metropole Haven angelangt überlegte ich noch einmal kurz wie ich mir die Zeit hier eingeplant hatte. Zuerst wollte ich neue Gewürze kaufen da meine ausgegangen waren und ich schon die letzten Tage ungewürzt gegessen hatte, was mir nicht bekam. Danach wollte ich kurz einen alten Freund besuchen der mir einen Brief geschrieben hatte und mich wohl sprechen oder einfach nur einmal wieder sehen wollte. Unsere Häuser waren nicht mehr als eine Stunde voneinander entfernt aber da er keine Zeit hatte mich zu besuchen und ich sowieso in die Stadt musste ließ ich mich gern bei ihm blicken. Zumal bot sich so die Gelegenheit meinem Patenkind, der wohl die Wissbegierde von seinen Eltern geerbt hatte und sich Lebtags für alle Arten von Mineralien interessierte, einen merkwürdigen Stein zu übergeben, welchen ich vor einiger Zeit fand und seit dem mit mir herumtrug.
Das anfangs ‚kurze überlegen’ hatte sich nun auf gute 15 Minuten entfaltet, sodass ich mich kurzzeitig hinsetzte und mir eine Zigarette bei dem Mann neben mir schnorrte. Als ich merkte, dass ich Nichtraucher war bekam ich kurz Panik und wurde rot, doch ich wollte nicht unhöflich sein und bat ihn noch freundlich um Feuer.
„So ein schöner Tag! Finden Sie nicht auch?“, sprach er während er auf die andere Straßenseite hinüberblickte. Ich sah ihn kurz an und bemerkte nach einem Augenblick, dass er schon älter war als ich ihn anfangs eingeschätzt hätte. „Ja Alter Mann“, sagte ich auf ihn zu. Er sah mich an, ich konnte sein Gesichtsausdruck nicht deuten da sich seine Mundwinkel nicht regten. „Ich fühle mich nicht alt an solchen Tagen!“, sagte er auf mich zu. Ich vergaß fast die Zeit, entschuldigte mich schnell bei dem alten Mann, dankte für die Zigarette, warf sie auf den Boden ohne nur einmal daran gesogen zu haben und trabte weiter den gepflasterten Weg entlang.

„Ein unspektakulärer Tag“, dachte ich mir als ich die Tür des Gewürzladens öffnete und eintrat, wobei die Türglocke die ich noch aus Kindestagen aus diesem Laden kannte wie immer erklang. DINGDANGRAPPELRAPPEL „Hallo Sero! Ein wunderbarer, sonniger Tag nicht wahr?“, sprach mich die Verkäuferin an als ich noch dabei war die Tür hinter mir zu schließen. Ich drehte mich zu ihr um, mit einem Lächeln auf den Lippen und sah, dass sie es mit aller Kraft die sie aufbringen konnte erwiderte. „Wahrlich ein schöner Tag Hanna. Wie geht es Ihrer Mutter?“ „Es geht“, sagte sie „ich glaube sie wird langsam senil!“ „Schön!“, sagte ich als ich mich umsah und die Gerüche die in diesem Laden lagen genoss. „Ich brauche Salz und Pfeffer, etwas Thymian und Curry wenn sie haben“, sagte ich schnell. Sie verpackte alles mit ihren zarten Händen und als ich wieder in ihr junges, aufgequirltes, grinsendes Gesicht blickte und ihre langen braunen Haare über ihre Schultern hängen sah, merkte ich wie ähnlich sie ihrer Mutter geworden war, als diese in ihrem Alter war. Sie packte mir die benötigten Dinge ein, legte noch eine Zimtstange hinzu, welche ich immer zu bestellen vergaß und wir verabschiedeten uns. DINGDANGRAPPELRAPPEL machte es als ich wieder auf die Straße trat.
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Die Stadt der Träumenden Bücher, Piper Verlag 2006, S. 325
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geschrieben am: 29.02.2012    um 15:42 Uhr   
Als nächstes machte ich mich auf den Weg zu meinem alten Freund. Kyle war sein Name, doch jeder in dieser Stadt nannte ihn, trotz fehlendem Doktortitel, dafür aufgrund seiner hohen Intelligenz und seiner Begeisterung für Naturwissenschaften nur Doc. Ich stand vor seiner Tür als mir ein Schauer den Rücken hinunterlief, kurz dachte ich jemand stünde hinter mir. Ich drehte mich ruckartig herum, doch sah niemanden, schaute mich kurz um bevor ich den Knauf an seiner Tür drehte die er Tagsüber immer auf lies. Der Schatten in der Gasse hinter mir schien merkwürdig dicht und undurchdringlich. Ich trat hinein und schloss die Tür hinter mir. Ich blickte mich im Flur um. Es wunderte mich, es hatte sich kaum etwas geändert seit dem ich das letzte mal dort gewesen war (und ich war eine ganze Zeit nicht dort), auch der Geruch hatte sich nicht geändert, ein hölzerner Geruch der sich mit dem aus der Küche und mit den bittersüßen Gerüchen die aus dem Keller drangen verband und dem Eintretenden in die Nase kroch. Ich genoss es richtig hier zu sein und freute mich nun sehr darauf Doc zu sehen. Nachdem mein Beutel mit Gewürzen einen geeigneten Platz an der Garderobe gefunden hatte ging ich langsam den Flur entlang geradeaus zum Wohnzimmer wo ich meinen alten Freund vermutete, die Dielen knarrten nur leise unter jedem meiner Schritte.
Ich sah ihn dort sitzen, den Kopf auf seine Hand gestützt, am Fenster sitzend und aus dem Fenster blickend. Ich verharrte im Türrahmen, fragte mich worüber er nachdachte. „Komm ruhig rein, du brauchst nicht so nachdenklich da stehen bleiben!“ Woher wusste er, dass ich dort stand? Im Fenster spiegelte ich mich nicht da dieses offen stand, ich kam dazu, dass er meine Schritte gehört haben musste. Ich trat zur Tür hinein, sah ihn an, er wandte sich nicht zu mir. „Der erste warme Tag dieses Jahr… ein schöner Tag sagen sie…, doch ich sah heut so viele verblasste Leben, dass ich es nicht mehr hören kann.“ (Er arbeitete Hauptberuflich bei der Polizei da hatte er öfters mit solch tragischen Geschichten zu kämpfen. Ich hatte aufgehört nachzufragen.) Er drehte sich zu mir, stand auf und kam auf mich zu. „Es freut mich dich zu sehn“, sagten wir fast synchron, reichten uns die Hände und umarmten uns dann.
Wir redeten eine Weile und ich merkte, dass er mir etwas verschwieg, ich wollte nicht direkt fragen, ich kannte ihn schon lange, er würde schon noch früh genug damit heraus rücken, denn auch er wusste, das er nichts vor mir verheimlichen konnte.
„Wo sind Liz und mein Patenkind?“, fragte ich, da ich gehofft hatte die beiden zu sehn. „Sie ist noch etwas zu essen kaufen für heute Abend und er wollte unbedingt mit.“, sagte er nachdem er sich hingesetzt hatte und verdeutlichte es ihm gleich zu tun. „Was ist mit dir? Wann kann ich endlich auf ein Patenkind hoffen?“ Ich setzte mich hin, lehnte mich in den alten Sessel zurück und sah an die Decke. „Nunja“, seufzte ich „keine Frau kein Kind. Du weißt doch noch wie das mit den Bienchen und den Blümchen läuft.“
Wir redeten Noch eine ganze Weile und Kyle lud mich ein mit ihnen zu essen. Ich stimmte zu, so musste ich nicht noch los um etwas zu kaufen, zuhause wartete niemand auf mich und es war schön mal wieder bei ihm zu sein. Ich merkte wie die Zeit nur so dahin ging, als wir anfingen über die alten Zeiten zu reden und Wein zu trinken. So viel hatte ich schon lange nicht mehr gelacht. „Ein schöner Tag.“, dachte ich.


Kapitel 2

Das letzte Abendmahl

Es war schon später Abend als Liz und mein Patenkind zurückkehrten. Liz schien nicht überrascht mich zu sehn und umarmte mich herzlich. „Schön dich zu sehn!“, sagte sie und bat Doc die Einkäufe in die Küche zu bringen. Eros lief auf mich zu, ich nahm ihn hoch und drückte seinen kleinen Körper an meine Brust. „Schon komisch, dass ihr ihn Eros genannt habt!“, sagte ich zu Lisa, während ich ihm durch sein kurzes, haselnussfarbenes Haar fuhr. „Wieso komisch?“, fragte sie verwundert zurück, „Frag doch nicht so unwissend…! Wegen seinem Namen natürlich“. Es war nicht die klügste Aussage gewesen die ich je gemacht hatte, doch sie seufzte, schwieg und ich ging triumphierend zu Doc ins Esszimmer, wo er bereits auf mich wartete. Es war altmodisch dekoriert und verbreitete eine angenehme Atmosphäre, doch als ich Platz nahm, merkte ich, dass die alten Holzstühle nicht sehr bequem waren. „Brauchst du Hilfe beim Kochen Schatz?“, rief Doc in die Küche, die durch einen offenen Durchgang vom Esszimmer getrennt war, „Sero hilft dir gerne!“. „Er ist unser Gast Vater“, sagte Eros schockiert und ging in die Küche um seiner Mutter zur Hand zu gehen. Ich grinste.
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geschrieben am: 29.02.2012    um 15:43 Uhr   
„Wir müssen reden!“, sagte Doc sofort als sein Sohn aus seiner Sichtweite verschwunden war und er glaubte, dass er nun frei sprechen könne. „Es geht um das Buch… Du hast doch die Karte noch?“ Ich überlegte kurz, was er von mir wollte und da traf es mich wie ein Schlag, solch eine langweilige schwarz-weiß Rückblende, bei der zuerst das Bild kurz verschwimmt, wie in furchtbar schlechten Filmen.

Wir waren noch fast Kinder und lebten eine ganzes Stück weg von hier, doch kannten uns schon damals. Es war ein Tag, so warm wie heute, als wir einen reisenden Händler trafen und mit ihm ins Gespräch kamen. Er kam grade aus dem Süden, aus dem Vatikan und wollte uns ein Buch verkaufen, das er dort mit einem anderen Händler getauscht hatte. Er nahm seinen alten Rucksack vom Rücken und setzte sich auf die staubige Straße, zog das besagte Buch aus der Tasche und reichte es mir. „Buch der Welterneuerung“ stand mit verkratzten, metallenen Buchstaben auf dem ledernen Umschlag. Es war ziemlich dick und sah aus als hätte es schon viele Generationen durchlebt. Ich kann heute kaum noch beschreiben was uns dazu verlitten hatte dieses Buch zu kaufen, aber eine seltsame Aura ging davon aus. Ein abenteuerlich duftender Wind wehte uns um die Ohren, als wir uns anblickten. Wir wussten genau was der andere dachte. So kauften wir es von dem bisschen Geld was wir bei uns trugen.
„Ihr werdet noch nicht in der Lage dazu sein es zu lesen, bewart es gut auf“, waren die Worte des Händlers an die ich mich noch erinnerte.
Wir schlugen es auf, doch jede Seite des Buches war unbedruckt. Als wir uns beim Reisenden beschweren wollten, war er schon verschwunden, was mir noch heute einen Schauer über den Rücken jagte. Dies war keiner dieser billigen „Abgang in der Rauchwolke“ Zaubertricks, es war mehr ein „Wie vom Winde verweht auf einer freien Fläche von 2 km Radius“ Zaubertrick. Hut ab! Damit unsere Eltern nicht erfuhren, dass wir unser Geld für ein leeres Buch ausgegeben hatten, vergruben wir es und machten eine Karte um es später wieder zu finden. Es kam allerdings nie dazu.

„Ja ich habe sie noch… aber wieso fragst du?“
„Wir sind in Gefahr, Leute sind hinter diesem Buch her und sie haben irgendwie herausgefunden, dass es in unserem Besitz ist.“
„Aber…“
„Wieso sollte jemand hinter diesem Buch her sein…? Ich bin mir nicht sicher, aber es muss mehr dahinter stecken als wir vermutet haben… Diese Kerle gehen über Leichen, aber bevor wir nicht wissen was es anrichten kann, können wir es ihnen nicht geben.“
„Aber…“
„Wie sie davon erfahren haben…? Nunja, der Händler der uns das Buch verkaufte, ich habe ihn wieder erkannt… oder zumindest was von ihm übrig war. Seine Leiche sah schlimm aus, er wurde zu Tode gefoltert.“
„Aber…“
„Keine sichtbaren Spuren. Keine DNS.“
„HÖRST DU WOHL MIT DER HELLSEHEREI AUF!“
Ein Geräusch der löffelschwingenden Herdfee in der Küche erstarb kurz, doch setzte langsam die Geräuschkulisse wieder ein.
„Shhhhht…“, shhhhhte Doc und hob dabei den Zeigefinger vor seinen Mund.
„Was ist mit den beiden… Ich meine… wenn sie wirklich so konsequent vorgehen?“
„Liz und Eros? Ich habe einen Freund gebeten sie noch diese Nacht aus der Stadt zu bringen…“
„Und… was sollen wir deiner Meinung nach tun?“
„Wir müssen morgen früh aufbrechen und das Buch finden, ich kenne jemanden im Vatikan der etwas über dieses Buch wissen könnte. Außerdem sind sie auch schon hinter mir her… Ich habe etwas entwickelt. Ich sage nur so viel: Du wirst vor Begeisterung deine Hose durchnässen. Ich werde es dir später im Keller demonstrieren.“
(Ich meinerseits hatte wenig Lust mich einzunässen, wusste aber das Doc, wenn es um seine Wissenschaft ging oftmals übertreiben konnte.)

In diesem Moment kam Liz mit dem Essen herein, sie wusste was los war… Das konnte ich ihr ansehen. Ich kannte sie schon ewig und es war in diesem Moment fast als könnte ich ihre Gedanken hören. Ich sah hinüber zu Kyle und auch er konnte es spüren und sah sie mitleidig an. „Alles wird gut Schatz“, beruhigte er sie instinktiv. Sie stellte das Essen auf den Tisch und setzte sich zu uns „Ja… ich weiß…“, seufzte sie. Eros kam mit Tellern und Besteck zur Tür hinein, wir aßen schweigend und als wäre es unser letztes gemeinsames Mahl gewesen.
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geschrieben am: 29.02.2012    um 15:44 Uhr   
Docs Freund traf kurz vor Mitternacht mit seiner Kutsche ein, Liz hatte ein paar Sachen gepackt und es war kein leichtes für diese Familie sich voneinander zu trennen. Würde es ein „Trauermessgerät“ geben so wäre es in diesem Moment wahrscheinlich in seine Einzelteile zersprungen. Sie küssten sich mit Tränen in den Augen und Kyle sah noch eine ganze Weile der Kutsche hinterher, wie sie seine geliebte Familie ins Dunkel der Nacht zog und hätten keine Lichter am Straßenrand gestanden, so hätte die Dunkelheit sie verschluckt. Ich fasste ihn an der Schulter und gelitt ihn hinein damit er mir seine Erfindung demonstrierte und um unseren Aufbruch zu planen, der nun auch kurz bevor stand. Nun spürte ich den Stein in meiner Tasche, den ich eigentlich Eros geben wollte. Doch nicht so, es sollte kein Abschiedsgeschenk werden und da es nun ohnehin zu spät war, würde ich ihn vorerst behalten.
Wir alle wussten nicht was uns im Laufe dieser Geschichte widerfahren würde und ich war sehr verwundert darüber, wie doch mein Leben an einem einzigen Tage so aus den Fugen geraten konnte.

Kapitel 3

Laborchaos und Erdbeereis

„Folge mir!“, die Lebenslust quoll aus seinem Munde als Doc, nun in seinem Labormantel die Kellertreppe hinunter trabte, im Vorbeigehen einige Schalter betätigte, welche, wie ich schon wusste, unter anderem für Beleuchtung, Belüftung, sowie musikalische Untermalung zuständig waren. Hier war er in seinem Element, ein hagerer Typ, Wissenschaftler, der immer froh ist wenn er ein wenig seiner Intelligenz an jemand anderen, in diesem Falle mich, weitergeben durfte.
Ich trabte ihm hinterher und überflog mit schnellen Blicken und einer 360°-Drehung die Laborausstattung. Hier dampfte es aus Kesseln, dort klickten komisch aussehende Maschinen, da standen Reagenzgläser im Regal, farbige Flüssigkeiten, Pipetten, Glasutensilien, Destillate, ein paar weiße Mäuse, mein Gehirn pochte zweimal, dann hatte ich mich an die Reizüberflutung gewöhnt. Ich ging ihm damals oft bei Experimenten zur Hand und so war ich einigermaßen mit dem Laboralltag vertraut. Ich nahm den erstbesten Kittel von einem der Haken und legte ihn mir um.

Doc baute sich vor mir auf. Er trug ein strahlendes Lächeln auf den Lippen, zeigte mir seine Zähne, sowie auf drei metallene Schalen, die hinter ihm standen und mit farbigen Flüssigkeiten angefüllt waren.
„Unglaublich gefärbtes Wasser!“, rief ich mit erstaunlich gut gespieltem Erstaunen und einem Hauch Ironie.
„Weniger durststillend, dafür aber mit einigen anderen erstaunlichen Eigenschaften versehen.“, sagte Doc mit stolzgeschwellter Brust „Es war mehr eine Entdeckung als eine Erfindung, zugegeben. Ich möchte dich auch nicht mit chemisch strukturellen Details langweilen. Aber diese Flüssigkeiten die du hier siehst sind meiner Meinung nach pure Alchemie!“, wobei er beim letzten Wort mysteriös mit den Händen kreiste und einen verschwörerischen Blick aufsetzte. „Was hieltest du von einem kleinen Selbstversuch? Kaum Schmerzen, kaum Nebenwirkungen, mittelmäßige Aussicht auf Erfolg.“
„Uff, ist das dein Ernst?“
„Jepp.“
„Hast du das schon mal probiert?“
„Jepp.“
„An Menschen?“
„Das nicht… aber…“
„Es besteht also die Chance, dass ich dabei drauf gehe?“
„Das würde mich wundern, allerdings… so gesehen… jepp!“ Er schenkte mir sein breitestes Lächeln und kniff die Augen fest zu. Er wusste von Anfang an, dass ich ihm nichts abschlagen würde, außerdem war ich nun schon viel zu neugierig.
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geschrieben am: 29.02.2012    um 15:45 Uhr   
Ich rieb mir die Nase und trat einen Schritt näher.
„Okay, also was muss ich tun?“
„Es ist im Grunde leichter als leicht. Da sogar einige Tiere diese Übung mit Leichtigkeit bewältigen, sollte es für deinen Intellekt gar kein Problem darstellen!“ Sein herausforderndes Grinsen machte mich etwas grantig, trotzdem hielt ich mich mit einem Kommentar zurück. „Sieh einfach in die linke Schüssel! Der Rest wird sich fügen.“
So tat ich denn wie geheißen. Ich stellte mich vor die Wanne und richtete einen starren blick auf die silberne Flüssigkeit. Einige Sekunden verstrichen, doch nichts geschah. Ich richtete meinen Blick auf Doc und zog skeptisch fragend eine Augenbraue hoch.
„Es funktioniert wohl nicht.“, forderte ich ihn heraus.
„Das wird es, wenn du nur genauer hinsiehst!“
Ich wandte meinen Blick erneut auf die silberne Flüssigkeit, doch diesmal schien mein Geist in ihr zu versinken. Das Silber begann perlmutterne Streifen zu ziehen und darauf im Gleichtakt meines Herzens zu pulsieren. Mein Geist war frei, es fühlte sich an wie Schwerelosigkeit, doch ohne die oft dabei auftretende Übelkeit.
„ERDBEEREIS!“, schrie es plötzlich neben mir.
Ein Klicken ertönte, dann sausten wirre Bilder, Farben, Geräusche, Gefühle durch meinen Kopf. Freude. Sommer. Hunger. Kinder. Rauschen. Rot. Lachen. Süße. Grün. Geldgeklimper. Frauen. Kälte. Jahre vergingen in einer Sekunde. Alles verschwamm. Jetzt setzte die Übelkeit ein, doch bevor sie überhand nahm, gingen mir auch schon die Lichter aus. Die Flüssigkeit pulsierte nicht mehr und ich fiel ins ewig dunkle Nichts.

Als ich aus meinem traumlosen komatösen Schlaf erwachte spürte ich ein dumpfes Hämmern in meinem Schädel. Meine Zunge fühlte sich an als wäre ein mittelgroßes Nagetier darauf verendet, hätte aber in kluger Voraussicht seines baldigen Ablebens vorher seinen Magen- und Darminhalt entleert. Ich öffnete meine trockenen Augen und starrte ins grelle Halogenlicht des Labors. „BOMM BOMM“ bommte es in meinem Hirn. Bis auf meinen Kadaver, der immer noch unverändert am Boden lag war alles völlig steril.
„Und gut geschlafen?“, hörte ich Kyles Stimme schallen.
„III BRIII DI UUUUH!“, drohte ich ihm.
„Also eher nicht, damit hatte ich auch nicht gerechnet.“ Er grinste breit und reichte mir ein Becherglas. „Trink!“
Ich brachte ein „WAAAAA?“ zu Stande, worauf er mich beruhigte dass es sich nur um einen starken Kaffee handelte. Ich trank gierig auf dass sich das trockene Gefühl auf meiner Zunge verflüchtigen würde. Ich konnte bald darauf meine Zunge wieder normal bewegen.
Ich rieb mir den Schädel. Der Schmerz ließ nach.
„Was… was war das? Was ist passiert?“
„Du wirst sehen. Noch ist es an mir die Fragen zu stellen!“, sagte er immer noch mit entwaffnendem Lächeln, doch unterschwellig klang ein scharfer Befehlston mit, der mich gehorchen ließ.

Doc schloss kurz die Augen und legte seine Hand unters Kinn um in sich zu gehen. Er wusste wohl nicht wirklich wonach er direkt fragen sollte, oder die Frage die er stellen wollte, kam ihm zu albern vor. Schließlich seufzte er und blickte mich durchdringend an.
„Was sind Erdbeeren?“, fragte er mit schulbubenhafter Neugierde, die mich kurz wirklich glauben ließ, dass er die Antwort wirklich nicht kenne. Zugleich fragte ich mich nun, ob wirklich ich derjenige war, der auf den Kopf gefallen war. „Erdbeeren oder Fragaria sind eine Gattung in der Unterfamilie der Rosoidea, welche zur Familie der Rosaceae gehören. Sie sind anders als der Name vermuten lässt keine Beeren sondern Sammelnussfrüchte. Sie sind rot und meist süß bis säuerlich im Geschmack…“
„Gut das reicht“, unterbrach mich Doc mit erstauntem Blick. „Keine Generalisierung wie es scheint… zumindest nicht…“, wieder sah er mich hoffnungsvoll an. „Was ist Eis?“, fragte er nun mit einem breiten Grinsen. Ich blickte ihn wohl an als würde er eine fremde Sprache sprechen, vielleicht hatte ich ihn auch nur nicht recht verstanden. „Eis?“, sprach ich verständnislos vor mich hin, während meine Gedankenblitze versuchten in einem Labyrinth aus Nervensträngen genau den Winkel zu finden, in welchem sich der Schlüssel zu diesem Wort verbarg.
Ich empfand ein schmerzhaftes stechen zwischen meinen Schläfen, die Leere die ich in mir selbst, ausgelöst durch dieses Wort erforschte, erregte Übelkeit und Schwindel in mir. „Ich weiß nicht wovon du redest.“ Brachte ich mit einer Spur von Trauer hervor, worauf mein Freund in ein schallendes, triumphierendes Gelächter ausbrach.
Ich verstand nichts mehr.
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geschrieben am: 29.02.2012    um 15:45 Uhr   
Als Doc mir in den folgenden Stunden in seinem Labor erklärte was vorgefallen war, war ich mehr als überwältigt von seinem Genie. Mit der silbernen Flüssigkeit im ersten Gefäß war es ihm möglich Erinnerungen aus Menschen (oder Tieren) herauszuziehen. Anders als bei Tieren, bei denen wirklich alle Erinnerungen aufgesogen wurden, war es beim Menschen anscheinend sogar einigermaßen steuerbar, was Doc sehr zu erfreuen schien. Von den beiden weiteren Schalen, war die Zweite mit einer dunkelschwarzen Flüssigkeit gefüllt (Ich benutze hier nicht unabsichtlich das Wort „dunkelschwarz“, denn selbst das dunkelste Schwarz, dass ich je gesehen hatte, war mit diesem nicht zu vergleichen. Es war die absolute Leere. Die tabula rasa unter allen Tönen von schwarz.). Man überführte die entzogenen Erinnerungen in diese Schale und konnte sie darin über lange Zeiträume konservieren und nach belieben sortieren und sie sich anschauen, wie einen schlecht aufgenommenen Film. Die Flüssigkeit der letzten Schale war anfangs klar wie Wasser, sie nahm aber, abhängig von der eingeführten Erinnerung, einen anderen Farbton an. In meinem Fall des Erdbeereises war dies ein sattes pink. Derjenige, der diese Flüssigkeit in sich aufnimmt, wobei die Art der Aufnahme wohl nicht entscheidend zu sein schien, wird Herr über die Erinnerungen. Ich bekam die meinen zurück, doch ich begriff schnell, welche Macht mit dieser Entdeckung verbunden war.

„…und so kann ein jeder Herr über die Erinnerung werden. Du verstehst sicherlich wie mächtig ein Mensch durch diese Chemikalien werden kann?!“
Ich nickte.
„Jetzt ist mir auch klar warum Leute DICH verfolgen. Was ich aber immer noch nicht verstehe ist, wer diese Leute sind und was sie mit unserem Buch anfangen wollen?“
Kyle lächelte. Ich hing am Haken. Ich würde ihm helfen, egal was es mich kosten würde. Er wusste das nun. „Ich weiß weder was sie mit dem Buch wollen, noch wer genau es ist. Sie, zumindest vermute ich, dass es sich um eine Gruppe handelt, agieren über Mittelsmänner und Söldner. Was ich weiß ist, dass ich und jeder, der mir hilft in großer Gefahr ist, dass ich meine Erfindung und möglichst auch das Buch vor Ihnen schützen muss und dass ich Hilfe brauche.“
„Ich kenne da noch ein paar Personen, die uns sicher helfen werden!“
„Uns?“, fragte Doc mit einem gerührten Lächeln.
Ich winkte seine Dankbarkeit bei Seite. „Dir war klar, dass ich dir helfen würde“, lächelte ich zurück. „… die Zwillinge werden uns sicher…“
„WILLST DU MICH UMBRINGEN?“
„Du weißt, dass wir sie…“
„DU WILLST MICH UMBRINGEN!“
Ich lächelte. „Ohne sie wird es zu gefährlich!“
„Mit ihnen wird es NOCH gefährlicher.“
„Wenn es jemals zu einem Kampf kommt, bist du froh sie dabei zu haben.“, beharrte ich. Natürlich sah ich, dass ihm meine Idee nicht gefiel. Doch er gab sich geschlagen und nickte traurig. Ich feierte meinen kleinen Sieg, trotz der Gewissheit, dass Kyles Gewinn der größere war.
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