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geschrieben am: 07.02.2002 um 22:16 Uhr
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[b]Was es heißt, Mut zu haben[/b]
[i]Ich weiß, was es heißt, Mut zu haben. Ich habe es vor sechs Jahren auf einer Flugriese erlebt, und selbst heute kann ich nicht darüber sprechen, ohne dass mir die Erinnerung Tränen in die Augen treibt.
Als unser Flug L1011 an jenem Freitagmorgen in Orlando startete, war eine ausgesprochen tatendurstige, energiegeladene Auswahl von Passagieren an Bord: In der Frühmaschine saßen überwiegend Geschäftsleute, die für einen oder zwei Tage in Atlanta zu tun hatten. Als ich meinen Blick über die Sitzreihen schweifen ließ, sah ich überdurchschnittlich viele Designeranzüge, Managerhaarschnitte, lederne Aktenkoffer sowie andere Insignien des Business-Jet-Sets. Ich machte es mir für den kurzen Flug mit einer leichten Lektüre bequem.
Unmittelbar nach dem Abheben wurde deutlich, dass irgendetwas nicht stimme. Das Flugzeug flog holprig und wurde hin und her gerissen. Die flugerfahrenden Reisenden – so auch ich – lächelten einander zu. Mit vielsagenden Blicken gaben wir uns gegenseitig zu verstehen, dass wir alle schon einmal kleinere Probleme und Turbulenzen erlebt hatten. Wer viel fliegt, kann so manches erleben und lernt, mit cooler Gelassenheit zu reagieren.
Unsere Gelassenheit sollte jedoch nicht lange währen. Wenige Minuten nach dem Start nahm die Maschine einen markante Schräglage ein und eine Tragfläche war stark nach unten geneigt. Wir stiegen weiterhin, aber das trug nichts zur Beruhigung unserer Nerven bei. Rein gar nichts! Es dauerte nicht lange, da überbrachte uns der Pilot die Hiobsbotschaft:
„Es gibt Schwierigkeiten“, erklärte er. „Es scheint, als müssten wir ohne Bugradsteuerung auskommen. Die Anzeigen melden den Ausfall eines hydraulischen Systems. Wir kehren unverzüglich nach Orlando zurück. Da die Hydraulik nicht funktioniert, ist nicht absehbar, ob das Fahrwerk einrasten wird. Das Kabinenpersonal wird Sie dementsprechend auf eine unsanfte Landung vorbereiten. Wenn Sie aus den Fenster schauen, können Sie außerdem sehen, dass wir Treibstoff ablassen. Wir möchten so wenig wie möglich an Bord haben, falls wir hart aufsetzen.“
Mit anderen Worten, wir würden eine Bauchlandung machen. Kein Anblick war je so erschütternd wie der des Treibstoffes, der aus den Tanks der Maschine abgelassen wurde und an meinem Fenster vorbeiströmte – Hunderte und Aberhunderte von Litern. Die Stewardessen halfen den Passagieren, die korrekte Sitzposition einzunehmen, und redete beruhigend auf die ein, die jetzt schon hysterisch reagierten.
Als ich meine Mitreisenden betrachtete, stellte ich fest, wie sehr sich ihr Ausdruck auf einmal verändert hatte. Vielen stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Selbst die, die nach außen hin einigermaßen ruhig wirkten, hatten eine grimmige, aschfahle Miene. Ja, ihre Gesichter sahen regelrecht grau aus – so etwas hatte ich noch nie gesehen. Es gab keine Ausnahme. [blau]Keiner sieht dem Tod ohne Angst ins Auge[/blau], dachte ich. Auf die eine oder andere Weise verlor jeder die Fassung.
Ich fing an, unter den Passagieren nach dem einen Menschen Ausschau zu halten, der jene Art Ruhe und Frieden ausstrahlte, wie sie in solchen Situationen durch echten Mut oder großes Vertrauen entstehen. Ich sah keinen Einzigen.
Dann hörte ich ein paar Reihen vor mir zu meiner Linken die leise, gelassene Stimme einer Frau, die in völlig normalem Tonfall sprach. Es lag nicht das leiseste Zittern und auch keine Anspannung darin. Sie hörte sich wundervoll ausgeglichen an. Ich musste herausfinden, wem diese Stimme gehörte.
Ringsum schluchzten die Menschen. Viele heulten oder schrien. Manche der Männer bewahrten die Fassung, indem sie sich mit zusammengebissenen Zähnen an ihren Armlehnen festklammerten – aber auch sie waren reine Angstbündel.
Wenngleich mich mein Glaube davor bewahrte, die Nerven zu verlieren, hätte ich in diesem Moment niemals so ruhig und liebevoll sprechen können. Endlich entdeckte ich die Frau.
Mitten im allgemeinen Chaos saß eine Mutter, die nichts anderes tat als mit ihrem Kind zu reden. Sie war Mitte dreißig und wirkte völlig unscheinbar, und sie sah ihrer Tochter, die etwa vier Jahre alt gewesen sein muss, direkt ins Gesicht.
Das Kind hörte ganz genau zu. Es spürte wohl die Bedeutung dessen, was ihre Mutter ihr da sagte. Die Frau hielt das Kind mit ihrem Blick so sehr in Bann, dass es von dem Wehklagen und der Angst ringsum nichts mitzubekommen schien.
Geändert am 07.02.2002 um 22:18 Uhr von venus999 |
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