Auf den Beitrag: (ID: 561943) sind "3" Antworten eingegangen (Gelesen: 330 Mal).
"Autor"

Und ich hatte Frieden.

Nutzer: Gast_Susa
Status: Profiuser
Post schicken
Registriert seit: 26.02.2006
Anzahl Nachrichten: 930

geschrieben am: 23.10.2002    um 01:59 Uhr   
[schwarz][i]"Ich bin sowenig wie Er als ein borstiger Igel zur Welt gekommen, aber ich bin nach und nach einer geworden. Erst waren all die Stacheln bei mir nach innen gerichtet, da kniffen und drückten sie alle zu ihrem Spaß auf meiner nachgiebigen glatten Haut herum und freuten sich, wenn ich zusammenfuhr, weil die Spitzen mir in Herz und Eingeweide drangen. Aber das Ding gefiel mir nicht, ich kehrte meine Haut um, nun fuhren ihnen die Borsten in die Finger, und ich hatte Frieden."[/schwarz][/i]

So spricht Meister Anton im ersten Akt des Dramas "Maria Magdalena" von Friedrich Hebbel. Eines der langweiligsten Bücher der Welt, eines der dramatischsten Bücher der Welt. Man sollte Kindern diese Lektüre wirklich verbieten, in jungen Jahren mit einer derartigen Hoffnungs- und Ausweglosigkeit konfrontiert zu werden kann nicht gesund sein.
Aber Tatsache, obiger Abschnitt hat mich inspiriert, vielleicht war er es wert, das Drama zumindest zur Hälfte gelesen zu haben.
Wir charakterisieren jene mysteriöse Figur also wie es im Lehrplan steht und halten Folgendes fest:

[u]Meister Anton:[/u]

~ asketische Lebensweise
~ Ideale: Fleiß, Arbeit; strenge Ordnungsprinzipien
~ krankhafte Verletzlichkeit
~ Misstrauen gegenüber den Menschen
~ "unsichtbarer Richterstuhl"
~ starrsinnige Korrektheit
~ Rechtschaffenheit, Ehre, Leumund
~ Schuld, Schande, Scham -> größte, unerträgliche Last für ihn
~ stolz, autoritär
~ Weltverachtung <-> Weltangst
~ Gefühlskälte, freudlos, hart


Das sagt uns was? In einer Zeit in der die bürgerliche Scheinmoral groß in Mode war hatte der arme Kerl einfach keine Wahl. Missgestaltet durch eine für heutige Verhältnisse untragbare Erziehung wusste er es nicht besser. Er liebte sein Handwerk und sich selbst, er hasste die Welt und sich selbst. Er trieb seine Tochter in den Tod und konnte doch einfach nichts dafür. Verdient er nicht unser Mitleid, unser Verständnis? Eine Tote mehr, die ebenso keine Wahl hatte, als sie noch unter den zumindest körperlich Lebenden weilte - der Lauf der Welt, manche Dinge kann man nicht beeinflussen. Schicksal und so.

Und doch will man sich an den Kopf fassen, wenn man obiges liest und fragen: Wiiee jetzt, er hatte Frieden? Ja wo denn? Und dann fängt man an zu glauben - von Herzen, innigst zu glauben - an die Macht der Selbstlüge, an die Macht der Illusionen. Stärker als alle Gefühle, stärker als die Liebe. Man beginnt zu begreifen, dass man sich alles einreden kann, man schließt dafür einfach die Augen und glaubt und ist überzeugt und läuft weiter. It's so easy.
Und gleichzeitig schwindet die Hoffnung an das Gute. Es öffnet sich eine ganz neue Tür, die bisher verborgen in der Dunkelheit lag, eine Tür zu einem neuen Wissen. Die Gewissheit, dass man gar nicht gewinnen kann. Meister Anton und Anhang machen es vor.

Also liebe Kinder, lest dieses Drama [i]nicht[/i], mein Appell, nein eine inständige Bitte an euch - wenn ihr weiterhin an Superhelden, Feen und gute Geister glauben wollt. Ach ja, den Weihnachtsmann nicht zu vergessen.

Jaja, so sind die Menschen.


Ach übrigens, den Weihnachtsmann gibt es wirklich .




Geändert am 23.10.2002 um 02:22 Uhr von Susa
  Top
"Autor"  
Nutzer: Glorious
Status: Profiuser
Post schicken
Registriert seit: 29.08.2002
Anzahl Nachrichten: 592

geschrieben am: 23.10.2002    um 14:55 Uhr   
Du kleines miststück,

*schmunzelt erhaben*, so komm in meine arme, wie du es letzte nacht getan hast, leg deinen kopf an meine brust und lass dich küssen, so wie ich dich geküsst habe. spürst du mich, noch immer, auch wenn ich wieder wie ein wasserfall rede? trägt die bittere erkenntnis der ewigen dunkelheit in den verlorenen herzen der großen helden und die fehlende stille zum gefühlskalten reagieren auf meine sehnsucht nach deiner tröstenden nähe bei?

möchtest du meine tochter sein, wie es tausende vor dir waren und für mich sterben, meiner willen? stirb für mich, wie es deine schwester tat, zeig ihr, dass sie nicht vergebens gehandelt hat. wir zieren die handlung des dritten aktes unseres dramas, der höhepunkt ist nah und macht den moment der letzten spannung, die tragödie, vergessen, bevor sie geschehen konnte. du wirst niemals wieder etwas vergleichbares erleben, so verspreche ich dir.

bald folgt goethes "unerhörte begebenheit" und lässt dich nicht mehr los. verloren, gefallen und gefangen. gib auf, bevor es wieder tag wird und ich fliehen muss. die größten werden getragen von illusionen der kleinen und anteilig meisten, so wie sie ihr ewiger glaube an sich selbst trägt.
die WAHRE liebe ist einmalig, "sie bleibt unveränderlich" und bricht aller eispaläste türen. doch davon sprechen wir ja nicht, nicht wahr, mein engel?

so wie du an weihnachten, die kälte des abends und die tatsache glaubst, dass man nicht gewinnen kann, glaube ich an das paradies, an das ziel, ohne den weg jemals beschritten zu haben. was für eine primitive religion da wieder meine hoffnungen trägt ...

mit dir oder ohne dich ...
auf jeden fall allein
Dein Toni
Geändert am 23.10.2002 um 15:24 Uhr von Glorious
  Top
"Autor"  
Nutzer: Gast_Susa
Status: Profiuser
Post schicken
Registriert seit: 26.02.2006
Anzahl Nachrichten: 930

geschrieben am: 23.10.2002    um 21:28 Uhr   
Also dann,

werfen wir der Vollständigkeit halber auch einen Blick auf die arme Klara, die unter der Last der alleinigen Familienehre schließlich zerbricht, auferlegt - wie könnte es anders sein - vom Vater, den wir ja schon näher kennenlernen durften.
Brav und sittsam ist es, das unschuldige Kind, der vom Vater aufgestellten Familienhierarchie voll und ganz ergeben. Hin- und hergerissen von der Angst um und vor Meister Anton kann es der totalen Handlungsunfähigkeit nicht entfliehen und folgt bis zum Ende blind, apathisch einem Ehrenkodex, der im Herzen doch niemals der ihre war. Sie klagt Gott ihr Leid, voller Ehrfurcht und doch Vertrauen, das sie in niemand anderen hat. Da hatte sie sich wohl an den Falschen gewandt, doch zurückgeschickt wird nichts, verschenkt ist verschenkt..

Klara, gefangen in einem Traum, den sie nicht zu träumen vermochte, wusste das Schwert nie zu führen, sie verließ das Schlachtfeld bevor sie es betreten hatte und fiel sterbend, von hunderten bitteren Pfeilen durchbohrt, auf den schon salzigen Boden. Und dort wo ihr Blut in der Erde versickerte, wuchs nie wieder ein grüner Halm, aber das wissen wir ja bereits.

Nein, so wie du mir kein guter Vater wärst, wäre ich dir keine gute Tochter, wie auch meine Schwester nie ein guter Bruder wäre. Eben so wie sie im Buche stehen; wir spielen unsere Rollen zu schlecht als dass wir dem gerecht werden könnten.

Oder glaubte Klara am Ende an einen Gott, den es gar nicht gab? War ihr Glaube zu schwach? Oder hätte es einem einzigen Zeichen von eben jenem Allmächtigen bedurft, um aus dem Ende keine unweigerliche Katastrophe zu machen? Ließ er sie im Stich, wie so viele andere?

So sprach auch das Mädchen schon vor langer Zeit ein verzweifeltes Stoßgebet:

Du siehst so ernst, Geliebter! Deinem Bilde
Von Marmor hier möcht ich dich wohl vergleichen:
Wie dieses gibst du mir kein Lebenszeichen.
Mit dir verglichen, zeigt der Stein sich milde.

Doch sie wusste es besser als wir alle, sie sprach nicht ins Nichts, sie sprach zu einem Herzen, das noch heute fast stoisch unser aller Lebenstrunk auch in die kleinsten Kapillaren pumpt. Hörst du es schlagen, in dunkelster Nacht, in tiefster Stille, im größten Chaos? - Nicht willens, sich dem Geiste zu ergeben, der ermattet schon lange zu Boden ging, wie auch Klara am Ende des Dramas, das nicht unseres ist.

Das lässt uns überzeugt zu dem Schluss gelangen, dass Klara kein schmiedeeisernes Kreuz um ihren Hals getragen haben kann, nie wäre sie sonst gescheitert. Nie.

Möge die Dankbarkeit jener Seelen auf ewig dein sein..

So sinke ich jedoch nicht, wie ein Diener seiner Majestät, vor deinen Füßen zu Boden, sondern schaue dir gerade in die Augen, unterdrücke meinen sterbenden Schrei der Verzweiflung und summe statt dessen eine Melodie.. [i]Meine Wahl ist deine Wahl ist meine Wahl ist deine Wahl ist Liebe.. Ist Liebe.

Hast[/i] du deine Wahl getroffen? Hast du deine Wahl getroffen und glaubst doch aus tiefstem Herzen an Lichter in der Dunkelheit, an schmelzendes Eis, an Feen und gute Geister?

Bereit sich zu ergeben, bereit zu springen steht der verlorene Held auf der schwankenden Planke, die Hände auf dem Rücken gebunden, die Augen fest geschlossen vor dem, was ihn erwartet. Doch er zögert zu lange, bevor er selbst den Sprung wagen kann wird er von fremden Händen in die Tiefe gestoßen.. Und er merkt nicht dass die Fesseln sich gelöst haben, dass er schwimmen kann. Er merkt es nicht, er geht unter..
Er wird nie erfahren dass das er das Paradies hätte erreichen können, wäre er doch nur geschwommen; er wird nie erfahren dass er von dem festen Boden unter den Füßen nicht weit entfernt war - Naturboden, denn im Paradies existieren keine skelettartigen, zubetonierten Holzstreben.

Die Augen geschlossen, glaubend, überzeugt lief er weiter auf einem Weg den er nicht sah und verfehlte das Ziel nur knapp.

Von wem hier die Rede ist? Ich habe keine Ahnung, so jemanden kenne ich nicht - was ist mit dir?
  Top
"Autor"  
Nutzer: Glorious
Status: Profiuser
Post schicken
Registriert seit: 29.08.2002
Anzahl Nachrichten: 592

geschrieben am: 24.10.2002    um 16:47 Uhr   
Schönen dank,

nun habe ich dieses verdammte buch wegen dir gelesen. du hast recht ... er war unverbesserlich, doch die "arme klara" hatte es nicht besser verdient. stärke heuchelnd, wieder und wieder, denen gegenüber, die ihr unterlegen waren, gefühlsmäßig wie sehnend, wusste sie stets, dass ihr das nie zustand: "Warum so zart, so rücksichtsvoll? Ich bin noch immer keine Prinzessin?".

Bist du eine prinzessin, susa? wolltest du es jemals sein oder habe ich dich nur dazu gemacht?

... wie gesagt: so schnell sie härte forderte, so schnell erfleht sie wieder gnade: "Du hörst nicht auf, mich zu kränken!". was sollen wir der klara glauben?

da hielt ich dich in meinen armen und als du zweifelnd zu mir sahst, wollte ich sagen: "Närrin, der Punkt ist ja gerade beseitigt!". gut, dass ich gewartet habe ... wir haben genau diesen punkt anscheinend nie geklärt.

wie sprach meister anton: "Denken? Ueber Ihn? Ueber irgend Einen? Ich hoble mir die Bretter wohl zurecht mit meinem Eisen, aber nie die Menschen mit meinen Gedanken. Ueber die Thorheit bin ich längst hinaus. Wenn ich einen Baum grünen sehe, so denk' ich wohl: nun wird er bald blühen! Und wenn er blüht: nun wird er Früchte bringen! Darin sehe ich mich auch nicht getäuscht, darum geb' ich die alte Gewohnheit nicht auf. Aber über Menschen denke ich Nichts, gar Nichts, nichts Schlimmes, nichts Gutes, dann brauch' ich nicht abwechselnd, wenn sie bald meine Furcht, bald meine Hoffnung täuschen, roth oder blaß zu werden. Ich mache bloß Erfahrungen über sie, und nehme mir ein Beispiel an meinen beiden Augen, die auch nicht denken, sondern nur sehen. Ueber Ihn glaubte ich schon eine ganze Erfahrung gemacht zu haben, nun finde ich Ihn hier, und muß bekennen, daß es doch nur eine halbe gewesen ist!"

so war ich nie, niemals. ich sprang von a nach b und wieder zurück, für dich. ich habe gehofft und gelacht, gehasst und getrauert, jede woche von allem ein bisschen.

außerdem würde ich nie solch uncharmante dinge sagen: "Den Rahmen, ja wohl, der hat sich gehalten, das Bild nicht recht. Es scheint sich viel Spinnweb darauf gesetzt zu haben, nun, die Zeit war lang genug dazu!" *lacht*

und am ende? war sie zu schwach ... für deine schwäche kann ich nichts, sie nahm sich das leben, für dein leben kann ich nichts. " [..] Der Kopf gräßlich am Brunnenrand zerschmettert, als sie - Vater sie ist nicht hinein gestürzt, sie ist hinein gesprungen, [..]"

ich denke, du hast recht. es ist nicht unser drama, war es doch nie gewesen.

gebundene hände, unendlich dunkle tiefe, das paradies so nah und doch so fern.
Bin ich zu dumm, mein engel?
"Ich verstehe die Welt nicht mehr!"

Toni
  Top