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Herzblut

Nutzer: Xtasy-14
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geschrieben am: 17.11.2002    um 17:34 Uhr   
[i][weiss] Man könnte die folgende Geschichte so sehen, wie sie dasteht. Dann wäre es allerdings nichts anderes als eine Geschichte.
Wenn ihr versucht, zwischen den Zeilen zu lesen, dann wird aus der Geschichte eine Nacherzählung.
Ich denke, dass zumindest einer versteht, was ich meine, nicht wahr?


Teil 1


Zu kurz war die Nacht, in der er sich ein letztes Mal an ihren kalten Körper schmiegte.
Er kostete ihren letzten Tropfen Blut und gab sie aus seiner tödlichen Umarmung frei. Erst jetzt bemerkte er, dass es heller wurde. Mit einem zornigen Aufschrei verfluchte er die Sonne, die sich nun ihren Weg durch die schützende Dunkelheit bahnte.
Er warf einen letzten Blick auf ihre langen, blonden Haare. Blut klebte an ihnen.
Er breitete seine schwarzen Schwingen aus und stieß sich mit seinen kräftigen Beinen von der Klippe. Er flog am Strand entlang und suchte nach einem geeigneten Unterschlupf für den Tag. Doch das Meer lenkte seine Blicke immer wieder auf sich.
‚Dunkel und unberechenbar’, dachte er in Gedanken. Genau wie er.
Er konnte sich nicht mehr genau an die letzte Nacht erinnern. Warum hatte er das Mädchen getötet? Das einzige, woran er sich erinnern konnte, war seine Gier nach ihrem Herzblut.
Aber darüber konnte er sich später Gedanken machen. Was er jetzt brauchte, war ein Versteck, bevor diese Menschen kamen, und sein Blutbad entdeckten.
Er war der letzte seiner Art. Ein jämmerliches Überbleibsel uralter Zeiten. Was mit den anderen geschehen war, wusste er nicht. Nach und nach wurden sie immer weniger. Eines Nachts, als er erwachte, war er allein. Überall suchte er seine Gefährten, doch als die Jahre vergingen, gab er die Suche auf. Längst hatte er gelernt, mit seiner Einsamkeit umzugehen. Er war sich darüber im Klaren, dass er jederzeit einen Gefährten erschaffen konnte. Das Einzige, was er dazu brauchte, war einer dieser Menschen. Doch hatte er noch nicht einen einzigen Menschen gesehen, der es wert gewesen wäre, sein Schicksal mit ihm zu teilen.
Er überquerte die Stadt, die direkt hinter dem Strand lag und hielt auf den Wald dahinter zu. Zwischen dichten Baumreihen fand er eine Höhle. Sie schien nicht sehr groß zu sein, aber für diesen Tag würde es gehen. Er ließ sich vor dem schmalen Eingang nieder, schlang seine Flügel schützend um seinen Körper und betrat die Höhle. Er sog die abgestandene Luft ein und schloss für einen Moment die Augen.
Bilder der letzten Nacht kamen in ihm auf. Ihre erbärmlichen Schreie, der Duft von Todesangst, Ihr helles Hemd, das sich langsam rot färbte, der warme Geschmack von Blut in seinem Mund.
Er öffnete die Augen und sehnte die Nacht herbei. Langsam ging er tiefer in die Höhle und betrachtete seine heutige Unterkunft. Ja, das würde für heute reichen.
Sonnenstrahlen brachen in die Höhle, und so suchte er sich einen sicheren Platz vor dem gleißenden Licht. Wieder schloss er die Augen. Er musste schlafen und Kraft sammeln, für die Nacht. Als er die Augen wieder öffnete, hatte sich der Himmel bereits verdunkelt. Wie lange hat er geschlafen? Längst hatte er das Gefühl für Zeit verloren.
Als er aus der Höhle trat, begrüßte er die Nacht mit einem entsetzlichen Schrei. Er breitete seine Flügel aus und erhob sich majestätisch in die Finsternis. Er flog wieder über die Stadt, die er so sehr verabscheute.
‚Wie dumm die Menschen doch sind’, dachte er. ‚Nur das, was sie sehen existiert für sie. Stehen auf, gehen zur Arbeit, essen und schlafen und meinen, dass das das wahre Leben ist. Ich werde ihnen zeigen, was Leben bedeutet!’






Geändert am 17.11.2002 um 17:37 Uhr von Xtasy-14
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Nutzer: Xtasy-14
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geschrieben am: 17.11.2002    um 17:36 Uhr   
[i] [weiss] Teil 2


Seine Blicke blieben an einer jungen Frau haften, die es eilig hatte, nach Hause zu kommen. Ohne sie aus den Augen zu lassen, umkreiste er sie wie ein Adler. Die Frau schien etwas zu bemerken, denn sie blieb einen Augenblick stehen, lauschte angestrengt und beschleunigte dann ihre Schritte.
Er liebte es, mit seiner Beute zu spielen, denn er liebte den Geruch von Todesangst. Aber noch war sie nicht soweit.
Er schlug einen Bogen und flog auf einen große Baum zu, der auf ihrem Weg lag. Er stellte sich davor und schlug seine Flügel um seinen Körper. Sie sollte ihn nicht gleich bemerken.
Er konnte sie bereits riechen. Schnell ging sie die dunkle und verlassene Straße entlang. Als Sie an dem Baum vorbeikam, trat er hervor. Sie blieb stehen und blickte ihn an.
‚Wieso fürchtet sie sich nicht’, dachte er verunsichert. Langsam ging er auf sie zu. Sie wich einen Schritt zurück und blieb dann stehen.
„Wer bist du?“, fragte sie.
Das hatte ihn noch niemand gefragt. Erstaunt blieb er stehen und sah sie sich genauer an. Sie war dunkel gekleidet, hatte langes, schwarzes Haar und große, blaue Augen. Aber wieso konnte er ihre Angst nicht riechen?
„Sag mir, was du in mir siehst.“, forderte er sie heraus.
Sie sah sich ihn genauer an. Eine kurze Pause entstand.
„Ich sehe ein einsames Geschöpf, dass nicht weiß, wohin es gehört.“
Er fühlte sich ertappt. Wütend breitete er seine großen Schwingen aus und stand stolz vor ihr. Sie wich einige Schritte zurück.
Ja, jetzt konnte er Angst riechen.
„Was siehst du jetzt?“, fragte er sie wieder.
Er hörte ihr Herz schlagen, doch der Geruch von Angst war verflogen. Eine längere Pause entstand, doch er hatte es nicht eilig. Sie fing an, ihn zu interessieren. Zum ersten Mal seit langer Zeit dachte er über die Erschaffung eines Gefährten nach.
Wieder sah sie ihn durchdringend an.
„Ich sehe ein einsames Geschöpf, dass nicht weiß, wohin es gehört.“, wiederholte sie.
Er sah sie erstaunt an und begann, herzhaft zu lachen.
„Du gefällst mir!“, sagte er. „Komm mit mir! Was hast du hier zu verlieren? Was kann dir diese Welt schon bieten? Wenn ich dich ansehe, dann weiß ich, dass auch du auf der Suche bist! Du gehörst nicht hierher! Werde eine von uns – von mir!“
„Woher willst du wissen, dass ich auf der Suche bin?“, fragte sie und musterte ihn.
„Weil du die gleiche Leere in den Augen hast, wie ich.“, antwortete er und ging auf sie zu. „Ich zeige dir, was ich dir bieten kann!“
Mit diesen Worten umfasste er sie und stieß sich in die Luft. Sie flogen weit über die Stadt.
„Sieh nur, wie wunderbar es aussieht.“, flüsterte er in ihr Ohr und flog mit ihr über den Wald. ‚Wunderschön’, dachte sie.
„Wir könnten das jede Nacht sehen. Wir könnten an Orte fliegen, die du noch nie gesehen hast. An noch viel schönere Orte als diesen.“
Er setzte sie auf einen hohen Berg ab und sah sie an. Er spürte ihre Begeisterung.
„Wir schlafen am Tage und jagen in der Nacht.“, erklärte er.
Sie sah ihn an.
„Wie viele gibt es denn von euch?“, fragte sie.
„Ich bin der Letzte meiner Art.“, antwortete er. „Die Anderen verschwanden schon vor langer Zeit.“
„Und was jagst du?“
„Ich lebe vom Herzblut anderer Lebewesen.“
„Vom Herzblut der Menschen?“, fragte sie leise.
„Ja.“, antwortete er. „Aber wenn du erst einer von mir bist, dann empfindest du für die Menschen kein Mitleid mehr. Sie werden dir egal sein.“
‚Das sind sie mir schon jetzt’, dachte sie.
„Lass mich bitte kurz allein. Ich muss nachdenken.“
Er wandte sich ab, blieb aber kurz stehen.
„Überlege es dir gut! Die Entscheidung, die du jetzt triffst, kannst du nicht wieder rückgängig machen.“ Mit diesen Worten stieg er wieder in die Lüfte und ließ sie mit ihren Gedanken allein.
Sie legte sich auf einen breiten Felsen und blickte zu den Sternen. Wie oft hatte sie sich gewünscht, fliegen zu können. Außerdem fühlte sie sich in der Nacht sehr wohl, und sie hatte niemanden, der ihr fehlen würde. Ohne zu wissen, was sie so vermisste, hat er sie mit seinen Worten gefangen genommen. Doch konnte sie den Menschen wirklich so etwas antun? Konnte sie über ihr Leben entscheiden? Aber er hatte gesagt, dass es ihr egal sein würde, wenn sie erst zu ihm gehört.
Sie lag auf dem Felsen und starrte die Sterne an. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen.
Als er sich neben ihr niederließ, erhob sie sich.
„Hast du dich entschieden?“, fragte er sie.
„Ja.“, antwortete sie. „Wie werde ich wie du?“
Er lächelte und ging auf sie zu.
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geschrieben am: 17.11.2002    um 17:36 Uhr   
[i] [weiss] Teil 3


Er zog ihre Bluse aus und fuhr mit seiner Kralle über ihre Brust in Höhe des Herzens.
„Tu mir nicht weh!“, flüsterte sie.
„Keine Angst.“, antwortete er knapp und schnitt mit seiner scharfen Kralle in ihr Fleisch. Sie schrie auf und wurde kurz darauf vor Schmerzen ohnmächtig.
Als sie erwachte spürte sie einen dumpfen Schmerz in der Brust. Noch war sie wie gelähmt. Er beugte sich über sie.
„Was hast du mit mir gemacht?“, brachte sie hervor.
Er lachte.
„Ich habe dir etwas gegeben, dass dich zu einer von mir macht.“, antwortete er und deutete auf eine frische Narbe auf seinem Unterarm.
Sie verstand nicht, doch plötzlich durchzuckte wieder eine Welle des Schmerzens ihren Körper. Sie schrie auf.
„Wehr dich nicht dagegen!“, rief er ihr zu, doch sie hörte ihn nicht mehr. Ihr Körper bäumte sich auf. Sie schmiss sich von einer Seite zur anderen. Sie spürte einen stechenden Schmerz auf ihrem Rücken, als die Flügel durch ihre Haut brachen. Wieder wurde sie ohnmächtig.
Als sie dieses Mal erwachte, spürte sie keinen Schmerz. Benommen stand sie auf.
„Was hast du mit mir gemacht?“, fragte sie wieder.
Er deutete auf ihre Brust. An der Stelle, an der ihr Herz saß, klaffte nun ein großes Loch. Es verschloss sich, als sie es sah, doch es blieb eine Narbe zurück.
Sie sah ihn an.
„Wieso lebe ich noch, wenn ich kein Herz habe?“, fragte sie ihn.
Er zeigte ihr wieder die frische Narbe an seinem Unterarm.
„Weil ich dir etwas von meinem Leben gab.“, antwortete er.
„Und was ist mit meinem Herzen? Wo ist es?“
„Es hat mir sehr gut geschmeckt!“, sagte er und lachte. „Du wirst lernen, damit zu leben. Und jetzt komm, die Nacht ist noch jung. Jetzt zeige ich dir, wie gejagt wird!“

*Krissy*
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