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geschrieben am: 12.02.2003 um 21:14 Uhr
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Heiner klopfte an die Bürotür und rief ihren Namen. Immerzu, ihr ganzes, verdammtes Leben lang tat er das schon; jeden Abend aufs Neue.
Lisa fummelte an ihrem Ehering, aber er ging nicht ab. Als sie überlegte, ob sie sich den Finger abhacken sollte, knackte das Schloss und die Tür sprang auf. Sie wusste es; er hatte sich einen Zweitschlüssel machen lassen.
Wenn sie daran dachte, ihn damals angesprochen zu haben, zuckte sie unwillkürlich zusammen und schloss die Augen. Neun Jahre war das her. Er war wie eine Maschine; wenn er Ruhe geben sollte, musste sie ihn nur mit Fleisch und Bier versorgen. Aber ihr Vorratskeller war leer und sein Bauch so riesig, dass er selbst im Sitzen Probleme hatte, seine Füße zu sehen.
Er fragte: „Fehlt dir was?“
„Ja“, meinte sie und drehte sich um. „Ruhe.“
Er nickte, als hätte er sie verstanden, blieb aber stehen. „Was tust Žn da?“, fragte er und warf einen Blick auf ihren Computer.
Sie zuckte mit den Schultern. „Mal dies, mal das ...“
Die Diele knarrte unter seinen Schritten, als er auf sie zukam. Hinter ihrem Stuhl blieb er stehen. Der saure Geruch von Schweiß und Öl stach in ihre Nase, als er sich vorbeugte, um zu sehen, was sie schrieb. Aber sie hatte den Monitor wieder ausgeknipst. Angewidert verzog sie das Gesicht und presste die Lippen zusammen. Seine Hand lag auf ihrer Schulter und seine rauen Lippen an ihrer Schläfe, schlabberig wie ein Regenwurm, dachte sie, ehe er sie küsste.
„Kommst du nachher?“, fragte er.
„Jaja“, meinte sie. „Wenn du mich jetzt BITTE alleine lassen würdest ...“
Aber er blieb stehen und schaute sie unsicher an, auch wenn sie ihn nicht beachtete. Nach einer Weile fragte er: „Hast du was?“
Sie schüttelte den Kopf und versuchte sich zu beruhigen. „Bin nur gestresst.“
„Aber nicht wegen mir, oder?“
Sie lächelte, drehte sich um und küsste ihn auf den Mund. Dann wandte sie sich wieder dem Computer zu.
Heiner zögerte, wollte etwas sagen, blieb dann aber still. Ihre Finger wuselten über die Tastatur und die Buchstaben flossen über den Bildschirm. Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, atmete sie aus und spürte, wie sich ihre Schultern entkrampften.
Lisa nippte an ihrem Pfefferminztee und öffnete eine neu eingetroffene Mail. Als die Nachricht erschien, beugte sie sich soweit vor, dass ihre Nasenspitze fast den Monitor berührte.
Ihre Augen wanderten über die Zeilen hinweg, bis sie auch den letzten Buchstaben überquert hatten. Dann begann sie die Nachricht von neuem zu lesen. Nach dem vierten Mal schaltete sie den Computer aus und erhob sich. Mit ruhigen Schritten schlich sie ins Schlafzimmer und schlüpfte unter die Decke, ehe sie das Licht ausknipste.
Nachdenklich und verträumt sah sie in die Finsternis und las in Gedanken schon die Zeilen, die er ihr morgen schicken würde.
Am nächsten Morgen küsste Heiner sie zum Abschied. Er stülpte sich eine schwarze Pudelmütze über den Kopf und fuhr ins Krankenhaus. Ein Chirurg, der Autos restaurierte, dachte sie. Früher hatte sie darüber schmunzeln können, aber heute stieß sie ihn weg, wenn er mit öligen, rußverschmierten Händen an ihr herumtatschte. Erst fummelte er an seinem Oldtimer herum und montierte ihn so lange, bis überhaupt nichts mehr funktionierte; und dann schraubte er an ihr herum. Manchmal fragte sie sich, ob Heiner sie nur geheiratet hatte, weil seine Autos nicht kochen oder die Beine spreizen konnten.
Lisa seufzte. Sie kochte sich eine Tasse Kakao und stieg die Treppe hoch. In ihrem Arbeitszimmer, ließ sie sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen und knipste den Computer ein.
Eine neue Mail war eingetroffen. Vor elf Minuten, dachte sie und überflog die Nachricht. Immer wieder las sie seine Zeilen, bis sie ein Kribbeln in ihrem Magen spürte. Eine dünne Schweißschicht zog sich über ihre Haut, ehe sie sich zwingen konnte, den Computer auszuschalten.
Als Heiner von der Arbeit zurückkehrte, kuschelte sie sich zum ersten mal seit Wochen an ihn. Aber diesmal konnte sie es genießen, nach langer Zeit wieder, weil sie weder seinen Schweiß, noch seine fettige Haut und seine schuppigen Haare wahrnahm.
Sie hörte Phillips Atem und fühlte das Pochen seines Herzens, als sie den Kopf auf seine Brust legte. Lisa war so in Gedanken versunken, dass sie es kaum wahrnahm, als Heiner sagte, er würde sie lieben.
„Ich dich auch“, sagte sie und atmete den Duft seines Schweißes ein. Sie fühlte Phillips weiche Hände über ihre Hüfte gleiten, spürte ihn an sich und wollte ihn für immer festhalten.
Ich dich auch ...
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