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geschrieben am: 22.02.2003 um 14:29 Uhr
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„Nun!“ sagte ich betont forsch. „Sie sind doch Rechtsanwalt. Ihnen muß doch was eingefallen sein, oder?“ Wäre ich seine Frau, ich hätte alles geglaubt, was diese Stimme mir erzählte.
„Ja, leider. Ich sagte das erstbeste, was mir in den Sinn kam. Ich sagte - “ –
Er schraubte die Flasche wieder auf und nahm einen kräftigen Zug. Diesmal fuhr ihm ein heftiger Rülpser heraus. „Ich sagte einfach, es sei mein eigener Hintern.“
Er blickte mich herausfordernd an.
„Ihr eigener?“ rief ich fassungslos. „Und das hat sie geglaubt?“
„Klar, warum denn nicht? Meine Frau hat mich wahrscheinlich noch nie richtig angeguckt. In den letzten zehn Jahren jedenfalls nicht mehr. Ich hätte ihr Gott weiß welchen Hintern als den meinen verkaufen können. ‘Aber Michael’- sagte sie“, seine Stimme wurde schrill, „‘warum in aller Welt fotokopierst du deinen eigenen Hintern?’“ Er machte eine dramatische Pause und sah mich an, und plötzlich erschien um seine geröteten Augen ein Kranz feiner Lachfältchen. Ich konnte nicht anders: ich fühlte deutlich das Grinsen, das sich auf meinem Gesicht ausbreitete.
„Und darauf ist Ihnen sicher auch etwas eingefallen, nicht wahr?“
„Allerdings. Ich sagte, ich hätte diese Fotokopien meines Hintern, mit meinen Händen an den Pobacken, am Abend vorher überall im Büro verteilt. Damit meine Kollegen und all die Vorzimmerdamen und Schreibkräfte und Notariatsgehilfen bis zum letzten Lehrling wissen, wo sie mich können.“
„Und das hat sie ihnen zweifellos auch geglaubt.“
„Es blieb ihr nichts anderes übrig. Sie rief zwar immer wieder“, und seine Stimme schraubte sich wieder zu hysterischer Höhe, „‘das glaub ich einfach nicht! Michael, das ist nicht wahr! Michael, sag, daß das nicht wahr ist!’ Aber die Kopien lagen ja da. Und der Umschlag, in dem sie gekommen waren, war mit unserer Stempelmaschine freigemacht. Sie mußte glauben, mein Büro hätte die Blätter eingesammelt und zurückgeschickt. Am Ende hat sie es geschluckt, mit Angel und Haken. Ich sagte ihr einfach, daß ich den Job nicht mehr ertragen könne, und nicht die Kollegen, und nicht die Mandanten und das Gericht. Und am Ende habe ich die Kopien eingesammelt und selbst ins Büro zurückgetragen. Das war heute morgen.“
„Das verstehe ich nicht“, sagte ich verwirrt, „Sie wollten die Sekretärin – wie hieß sie noch – Sie wollten Jessika zur Rede stellen?“
„Nein, was hätte das gebracht? Da machte nichts ungeschehen. Und ich konnte ja nicht einmal beweisen, daß sie die Kopien geschickt hatte. Das interessierte mich ohnehin nicht mehr. Ich war nicht mehr ich selbst, das war .... wie ein Rausch. Ich bin durch alle Räume und Büros gelaufen, habe auf jeden einzelnen Schreibtisch eine dieser Kopien geknallt und dazu gesagt: hier, das habe ich gestern kopiert, und jetzt könnt ihr alle sehen, was ihr mich könnt. Jessika stand gerade im Vorzimmer, zu ihr kam ich zuletzt. Ihr habe ich keine Kopie gegeben. Du kennst sie ja schon, sagte ich. Natürlich durfte sie dazu kein Wort sagen. Sie hätte sich ja unmöglich gemacht. Sie war feuerrot im Gesicht. Schön sah das nicht gerade aus zu ihrem roten Haar. Eigentlich tat sie mir leid. Aber ich konnte nicht dagegen an. Es riß mich einfach mit.“
Er versank in Schweigen.
„Und jetzt?“ fragte ich behutsam.
„Jetzt? Ja – jetzt bin ich meine Stelle natürlich los. Ich kann unmöglich zurück in dieses Büro. Ich werde mir was Neues suchen müssen. Vielleicht mache ich mich auch selbständig.“
„Und Ihre Frau?“
„Ja – meine Frau.“ Er lächelte versonnen, stöpselte die Flasche wieder auf und nahm einen letzten Schluck. „Sie würden es nicht für möglich halten, wie sie mich heute morgen angesehen hat. Mit einem ganz neuen Blick. Irgendwie...“, er lachte, verschluckte sich plötzlich und hustete, bis seine Augen tränten.
Ich sagte: „Hungrig -?“
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