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Auf dem Kopierer

Nutzer: Gast_Zaira
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geschrieben am: 22.02.2003    um 14:24 Uhr   
Ich hatte es mir gerade auf meiner Lieblingsbank gegenüber der alten Linde bequem gemacht, als ein Fremder auf mich zukam. Er wankte über den Rasen, langsam und in Schlangenlinien, aber er wirkte nicht so sehr betrunken als vielmehr verwirrt. Wie ein Mensch, der nicht weiß, wo er sich hinwenden soll.

Ich hielt den Blick diskret auf einen Schwarm Spatzen gerichtet, die sich auf dem Rasen herumzankten. Der Fremde blieb vor meiner Bank stehen, zögerte einen Augenblick und setzte sich an das andere Ende. Als ich aufschaute, nickte er mir grüßend zu. Er hatte wohl einmal ausgesehen wie einer dieser glattpolierten Banker oder Börsenleute aus dem Werbefernsehen, aber jetzt wirkte er, als sei er im Lauf des Tages auseinandergefallen und nicht richtig wieder zusammengesetzt worden. Er war korrekt und teuer gekleidet, aber sein dunkles Haar war zerrauft, und auf seinem Kinn lag ein blauer Bartschatten.

Plötzlich hörte ich seine Stimme: sie klang tief, warm und kultiviert wie die Stimme eines Fernsehansagers. Ich war auf der Stelle in diese Stimme verliebt. Ich wandte mich dem Fremden zu und sah ihm in die Augen. Sie waren kastanienbraun und flackerten nervös.

„Gnädige Frau“, sagte er, „Sie brauchen nicht zufällig einen guten Anwalt?“

„Nein“, hauchte ich, „ich glaube nicht.“ Doch seine Stimme ließ mich heftig wünschen, ich bräuchte einen. In Gedanken ging ich hastig allen denkbaren Konfliktstoff in meinem Leben durch: den Mietvertrag, den Rentenbescheid, mein Testament – nein, ich brauchte wirklich keinen Rechtsanwalt.

„Das ist schade“, bemerkte er melancholisch, zog aus der Innentasche seines Jacketts eine kleine vernickelte Flasche – einen Flachmann oder wie man das nennt -, schraubte ihn auf und nahm einen kräftigen Schluck. „Wollen Sie auch?“

So etwas hatte ich noch nie erlebt. Aber warum nicht? Ich nahm die Flasche entgegen und nippte vorsichtig daran. Es war Cognac. Als ich ihm das Ding zurückgab, sah ich einen großen Siegelring an seiner Hand, mit einer auffallenden, verschnörkelten Gravur.

„Wir sind das beste Anwaltsbüro von hier bis mindestens Kassel. Wir sind vier Kollegen im Büro, wir arbeiten seit zwanzig Jahren zusammen – praktisch seit dem Examen“, stellte er fest. „Ich habe mir in diesem Büro eine goldene Nase verdient. Aus und vorbei.“

Trübselig betrachtete er die Spatzen.

„Hatten Sie Streit miteinander?“ fragte ich taktvoll.
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Nutzer: Gast_Zaira
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geschrieben am: 22.02.2003    um 14:24 Uhr   
„Eigentlich nicht. Es ist wegen meiner Frau.“ Er nahm noch einen Schluck. „Sind Sie verheiratet?“

„Ich bin Witwe“, sagte ich.

„Ach so. Dann wissen Sie ja, wie es ist. Meine Frau – wir sind seit fünfzehn Jahren verheiratet, sie ist Architektin – sie ist, wie soll ich sagen? – sie ist kein leidenschaftlicher Typ. Außer wenn es ums Geschäft geht. Sie war mal anders, bevor sie Karriere machte. Aber jetzt hat sie kein großes Interesse mehr daran. Ich habe mich damit abgefunden, das ist ja nicht alles im Leben, es gibt ja noch...“ Er schwieg einen Augenblick und starrte grüblerisch die Flasche an, als denke er nach, was es sonst noch so geben könnte. Anscheinend fiel ihm nichts ein. „Ich machte meine Arbeit. Das war mein Leben. Dann kam vor vier Wochen diese neue Sekretärin.“

„Ja?“

„Sie heißt Jessika.“ Er sah mich von der Seite an. „Wie soll man das erklären...? Sie sind ja kein Mann....“

„Versuchen Sie’s nur“, sagte ich lächelnd.

„Jessika hat hungrige Augen, verstehen Sie. Diesen besonderen Blick. Ihr Haar ist rot, und immer sieht sie aus, als ob sie gegen den Wind rennt. Sie kommt nicht einfach in ein Zimmer herein, sie stürmt den Saal. Und dann dieser hungrige Blick. Mir war sofort klar, als ich sie das erste Mal sah, wie es mit uns enden würde. Ich habe eine Weile dagegen angekämpft. Bis letzten Montag. Dann ging es nicht mehr. Letzten Montag kam sie nach Feierabend noch einmal ins Büro. Alle anderen waren schon weg. Ich saß noch allein in meinem Zimmer und arbeitete an einer verwickelten Sache für die Verhandlung am Dienstagmorgen, da hörte ich Geräusche von nebenan. Ich ging leise zur Tür und linste hinaus... da stand sie vor ihrem Schreibtisch und suchte irgendwas zwischen den Akten. Sie drehte sich um und sah mich an.... Ich wußte nicht, wie mir geschah.“ Er machte eine Pause, und zarte Röte stieg ihm ins Gesicht. „Wir haben...“ Seine Stimme wurde leise. Er murmelte etwas vor sich hin.

„Wie bitte?“ fragte ich.

Er errötete heftig. „...auf dem Kopierer.“

„Sie meinen...“

„Ich setzte sie auf den Kopierer..... Ich hielt sie so“, er hielt seine beiden Hände zu Schalen geöffnet vor sich hin, „so am Hintern... Wir waren ziemlich beschäftigt. Und plötzlich ging der Kopierer an. Wahrscheinlich ist sie mit den Händen irgendwie an die Tasten gekommen. Ich habe nicht darauf geachtet. Jedenfalls war dann auf den Kopien... ach, wie soll ich das nur erklären?“

„Ich verstehe schon“, sagte ich. „Sie hatten sie am Po gepackt und auf den Kopierer gesetzt. Und auf den Kopien war ihr nackter Hintern mit Ihren Händen.“

Er nickte mißmutig. „Mit meinen Händen und meinem Siegelring.“ Er zog den Ring vom Finger und reichte ihn mir. Auf dem Ring war in einem Rahmen aus feingravierten Schnörkeln ein Initial: M.H.

„Ein Erbstück“, erklärte er. „Von meinem Großvater. Ein Unikat.“

„Und was geschah nun also mit den Kopien?“

"Jessika sagte, sie werde sich darum kümmern. Wir haben einen Aktenvernichter hinten in der Kaffeeküche, so eine Schnitzelmaschine, aber ich weiß nicht, wie das Ding bedient wird, das machen bei uns immer die Schreibkräfte. Jessika trug die Kopien in die Küche, und ich ging wieder an meine Arbeit. Sie müssen verstehen – hm – das ganze war mir ziemlich peinlich. Ich hatte das nicht gewollt... Am übernächsten Tag – also am Mittwoch – waren die Kopien in meinem Briefkasten zu Hause. Anonym natürlich.“

„Sie meinen, die Sekretärin...?“

„Wahrscheinlich. Vielleicht auch die Putzfrau. Ist doch egal.“ Er zuckte heftig die Achseln. „Meine Frau war wie versteinert. Als ich abends nach Hause kam, nach einem anstrengenden Arbeitstag, saß sie an unserem Eßtisch und rauchte. Wir haben einen sehr großen Eßtisch, für zwölf Personen, und der ganze Eßtisch war bedeckt mit den Fotokopien. Es war ein ganzer Stapel. Meine Frau saß hinter dem Eßtisch und starrte mich an wie ein Richter. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Sie starrte mich an, minutenlang, und sagte endlich: ‘Michael’ – das ist mein Name -, ‘Michael, was um Himmelswillen hat das zu bedeuten? ’“

Er schüttelt trübe den Kopf. Ich schaute ihn von der Seite an. Sein gebeugter Nacken wirkte schicksalsergeben.

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Nutzer: Gast_Zaira
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geschrieben am: 22.02.2003    um 14:29 Uhr   
„Nun!“ sagte ich betont forsch. „Sie sind doch Rechtsanwalt. Ihnen muß doch was eingefallen sein, oder?“ Wäre ich seine Frau, ich hätte alles geglaubt, was diese Stimme mir erzählte.

„Ja, leider. Ich sagte das erstbeste, was mir in den Sinn kam. Ich sagte - “ –

Er schraubte die Flasche wieder auf und nahm einen kräftigen Zug. Diesmal fuhr ihm ein heftiger Rülpser heraus. „Ich sagte einfach, es sei mein eigener Hintern.“

Er blickte mich herausfordernd an.

„Ihr eigener?“ rief ich fassungslos. „Und das hat sie geglaubt?“

„Klar, warum denn nicht? Meine Frau hat mich wahrscheinlich noch nie richtig angeguckt. In den letzten zehn Jahren jedenfalls nicht mehr. Ich hätte ihr Gott weiß welchen Hintern als den meinen verkaufen können. ‘Aber Michael’- sagte sie“, seine Stimme wurde schrill, „‘warum in aller Welt fotokopierst du deinen eigenen Hintern?’“ Er machte eine dramatische Pause und sah mich an, und plötzlich erschien um seine geröteten Augen ein Kranz feiner Lachfältchen. Ich konnte nicht anders: ich fühlte deutlich das Grinsen, das sich auf meinem Gesicht ausbreitete.

„Und darauf ist Ihnen sicher auch etwas eingefallen, nicht wahr?“

„Allerdings. Ich sagte, ich hätte diese Fotokopien meines Hintern, mit meinen Händen an den Pobacken, am Abend vorher überall im Büro verteilt. Damit meine Kollegen und all die Vorzimmerdamen und Schreibkräfte und Notariatsgehilfen bis zum letzten Lehrling wissen, wo sie mich können.“

„Und das hat sie ihnen zweifellos auch geglaubt.“

„Es blieb ihr nichts anderes übrig. Sie rief zwar immer wieder“, und seine Stimme schraubte sich wieder zu hysterischer Höhe, „‘das glaub ich einfach nicht! Michael, das ist nicht wahr! Michael, sag, daß das nicht wahr ist!’ Aber die Kopien lagen ja da. Und der Umschlag, in dem sie gekommen waren, war mit unserer Stempelmaschine freigemacht. Sie mußte glauben, mein Büro hätte die Blätter eingesammelt und zurückgeschickt. Am Ende hat sie es geschluckt, mit Angel und Haken. Ich sagte ihr einfach, daß ich den Job nicht mehr ertragen könne, und nicht die Kollegen, und nicht die Mandanten und das Gericht. Und am Ende habe ich die Kopien eingesammelt und selbst ins Büro zurückgetragen. Das war heute morgen.“

„Das verstehe ich nicht“, sagte ich verwirrt, „Sie wollten die Sekretärin – wie hieß sie noch – Sie wollten Jessika zur Rede stellen?“

„Nein, was hätte das gebracht? Da machte nichts ungeschehen. Und ich konnte ja nicht einmal beweisen, daß sie die Kopien geschickt hatte. Das interessierte mich ohnehin nicht mehr. Ich war nicht mehr ich selbst, das war .... wie ein Rausch. Ich bin durch alle Räume und Büros gelaufen, habe auf jeden einzelnen Schreibtisch eine dieser Kopien geknallt und dazu gesagt: hier, das habe ich gestern kopiert, und jetzt könnt ihr alle sehen, was ihr mich könnt. Jessika stand gerade im Vorzimmer, zu ihr kam ich zuletzt. Ihr habe ich keine Kopie gegeben. Du kennst sie ja schon, sagte ich. Natürlich durfte sie dazu kein Wort sagen. Sie hätte sich ja unmöglich gemacht. Sie war feuerrot im Gesicht. Schön sah das nicht gerade aus zu ihrem roten Haar. Eigentlich tat sie mir leid. Aber ich konnte nicht dagegen an. Es riß mich einfach mit.“

Er versank in Schweigen.

„Und jetzt?“ fragte ich behutsam.

„Jetzt? Ja – jetzt bin ich meine Stelle natürlich los. Ich kann unmöglich zurück in dieses Büro. Ich werde mir was Neues suchen müssen. Vielleicht mache ich mich auch selbständig.“

„Und Ihre Frau?“

„Ja – meine Frau.“ Er lächelte versonnen, stöpselte die Flasche wieder auf und nahm einen letzten Schluck. „Sie würden es nicht für möglich halten, wie sie mich heute morgen angesehen hat. Mit einem ganz neuen Blick. Irgendwie...“, er lachte, verschluckte sich plötzlich und hustete, bis seine Augen tränten.

Ich sagte: „Hungrig -?“

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Nutzer: Gast_Zaira
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geschrieben am: 22.02.2003    um 14:30 Uhr   
Er nickte, noch immer hustend, und stand auf. Ich wollte ihm den Siegelring zureichen, aber er machte eine abwehrende Bewegung. „Behalten Sie ihn“, brachte er endlich heraus. „Den habe ich eigentlich nie leiden können.“ Von Husten und Lachen geschüttelt, ging er davon.

„Michael!“ rief ich. „Warten Sie!“

Er drehte sich um. „Was ist?“

„Sie werden noch mehr Ärger bekommen“, erklärte ich hastig. „Die Kopien – nun ja, wenn Sie sich selbst auf den Kopierer setzen, mit den Händen unter – dann zeigen die Daumen in Richtung auf die Kniekehlen, verstehen Sie? Bei den Kopien, die Sie gemacht haben, müßte es umgekehrt sein.“

Er starrte mich an, und sein Gesicht, das noch gerötet war von seinem Hustenanfall, lief noch dunkler an. Langsam hielt er wieder beide Hände wie geöffnete Schalen vor sich hin und nickte. „Verdammt, Sie haben recht.“

„Wie lange wird es wohl dauern, bis Ihre Frau darauf kommt? Denken Sie sich beizeiten aus, was Sie dann sagen wollen.“

„Ja – ja.“ Er nickte wieder ernsthaft. „Ja, danke. Vielen Dank für den Tip. Ich muß mir das gut überlegen.“ Noch immer die Hände vor sich hinhaltend, ging er davon, in tiefem Nachdenken vor sich hin murmelnd, als komponiere er ein Schlußplädoyer.

„Bis morgen also!“ rief ich ihm nach. Aber das hörte er wohl nicht mehr.

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Nutzer: xspect
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geschrieben am: 22.02.2003    um 15:46 Uhr   
[i][blau]Du erwartest jetzt nicht wirklich das ich mir das alles durchlese oder?
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Nutzer: Gast_Zabia
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geschrieben am: 22.02.2003    um 19:25 Uhr   
Natürlich nicht, xspect!



@Zaira:

Gefällt mir sehr gut, Deine Schreibe!
Können mir niemals zu lang sein, Deine Gedichte, Geschichten.

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Nutzer: LaDy-RiVeT
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geschrieben am: 22.02.2003    um 20:02 Uhr   
Hey..also, die Geschichte ist...wie soll ich sagen...
...sie gefällt mir, ist super geschrieben und bei dem Inhalt
musste ich wirklich teilweise lachen...
Nunja...irgendwie schon alles komisch..aber auch cool!
Ich glaube, wenn mir mal wirklich so etwas oder etwas
ähnliches passieren würde, ich würde mich totlachen...
Wirklich genial...!!!!

~*LaDy-RiVeT*~
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Nutzer: Autor
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geschrieben am: 01.03.2003    um 16:28 Uhr   
Schon mal daran gedacht, deine Geschichten zu vermarkten? Oder aus deiner Kompetenz mehr zu machen?
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Nutzer: -eNi-
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geschrieben am: 01.03.2003    um 17:00 Uhr   
[i]goile geschichte
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