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geschrieben am: 18.11.2002 um 18:36 Uhr
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Auf der Flucht vor der Angst
Cottbuser Profis sind froh über ein Auswärtsspiel
COTTBUS, 20. September. Wer hätte das gedacht? Da spielt Energie Cottbus wieder bei den Bayern, wo es im Februar ein peinliches 0:6 gab - und dennoch freuen sich alle auf das Auswärtsspiel. Ein reiner Fluchtreflex. Der Bayern-Sixpack war schneller verdaut als das, was zuletzt zu Hause vorgefallen ist. In der eigenen Stadt müssen die Kicker um Leib und Leben fürchten. "Fast jeder von uns ist betroffen", sagt Kapitän Christian Beeck. Ihm wollten neulich, nachts in der Innenstadt, Schläger an den Kragen. Beeck entging knapp einer Tracht Prügel, doch die Angst bleibt: "Die haben mir gesagt, sie wissen genau wo meine Familie wohnt."
Cottbus mit seinen knapp 120 000 Einwohnern ist klein, der Ortsteil Sielow, wo die Spieler in Reihenhäusern leben, noch überschaubarer. Vor eineinhalb Jahren warf ein Vermummter nachts einen Brandsatz gegen das Haus von Beeck, versetzte seine Frau und die zwei Töchter in Schrecken. Der Täter wurde nie gefasst. Jetzt sagt Beeck, ein hart gesottener Verteidiger: "Ich möchte nicht, dass meiner Familie was passiert. Das hat alles mit Sport nichts mehr zu tun."
Kein Heimsieg seit 30. März
Der Frust ist groß, die Grenze zwischen Fans und Fanatismus schmal in einer Stadt, wo jeder Fünfte arbeitslos ist und es nicht viel mehr gibt als Fußball. Energie hat seit dem 30. März kein Heimspiel mehr gewonnen. In dieser Saison setzte es ein 0:4 gegen den Rivalen Hansa Rostock. "Das haben uns viele nicht verziehen, aber ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommt", so Beeck. Der Kapitän sagt auch: "Ich bin froh, dass das, was mir passiert ist, keinem Ausländer geschehen ist."
Schnell wäre der Bezug da gewesen zu Verteidiger Moudachirou Amadou aus dem Benin, der die ausländerfeindliche Atmosphäre nicht mehr ertrug und 1999 Cottbus verließ. In Diskotheken ließen sie ihn nicht hinein, seine Frau wurde beschimpft. Über dieses Stadium wollen sie in Cottbus hinweg sein, der Verein und viele Fans haben sich klar gegen Rechts bekannt. "Aber jetzt ist die Gefahr wieder groß, dass es pauschal heißt: Alle Cottbuser Fans sind Idioten", sagt Beeck.
Beeck, der sich nicht einmal mehr traut, einkaufen zu gehen ("Man wird blöd angeguckt und belabert"), ist kein Einzelfall. Vasile Miriuta hat zahlreiche Drohbriefe erhalten und klagt: "Ich gehe schon seit langem nicht mehr abends mit meiner Familie essen. Ich habe keine Lust, mich dafür rechtfertigen und anpöbeln zu lassen." Beeck sagt: "Uns ergeht es wie anderen Dienstleistern: Sobald die Leistung nicht stimmt, wird der Kunde ausfallend." Bisweilen ohne Grund. Beeck wurde auch angelastet, dass er sich bekannte, Stoiber zu wählen. "Mit sachlicher Kritik hat das hier alles nichts mehr zu tun", sagt er.
Pfiffe gegen Sebök
Auch von der Euphorie des Aufstiegs vor zwei Jahren ist nichts mehr spürbar. Die Zuschauerzahl sank zuletzt auf 12 000. "Wir haben in Cottbus eben keine gewachsene Fanstruktur wie anderswo", sagt der Fanbeauftragte Gerhard Kaiser, "hier gibt es viele Schönwetterfans." Zuletzt war in Vilmos Sebök (der Mann, der einst mit seinem Tor im ersten Spiel in Cottbus die Bayern besiegte) ein Spieler weggemobbt worden. Kaum eingewechselt, wurde er ausgepfiffen. Er machte prompt viele Fehler - und wurde vom Klub ausgemustert. "Die Dummen sterben eben nicht aus", sagt Präsident Dieter Krein.
So mancher Profi würde sich mehr Unterstützung wünschen. Doch der bisweilen etwas überdrehte Klubchef bezeichnet die eigenen Spieler als "einen Haufen Farbenblinde, die ständig den Ball zum Gegner spielen". Außerdem droht er blaue Briefe zu Weihnachten an. So hat auch Neuzugang Paulo Rink erkannt, was seine vordringlichste Aufgabe ist: "Ich muss die Fans versöhnen." Am besten schon in München, wo er jedoch zuerst auf der Bank Platz nehmen muss
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